Predigt Salomo Kärner

Wie hat sich der Christ zur bösen Zeit zu verhalten?

Eine Predigt

Vor einer Stadtgemeinde über die gewöhnliche Epistel am XX. Sonntage nach Trinitatis gehalten von Johann Christoph Salomo Kärner zu Rautenkranz bey Eibenstock.

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Wie hat sich der Christ zur bösen Zeit

zu verhalten?
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Eine

Predigt

Vor einer Stadtgemeinde über die
gewöhnliche Epistel
am XX. Sonntage nach Trinitatis

gehalten von

Johann Christoph Salomo Kärner

zu Rautenkranz bey Eibenstock.

 

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Schneeberg
gedruckt bey E. W. T. Schill, 1800

 


 

Sr. Excellenz

dem Hochwohlgebohrnen Herrn,

Herrn Baron von Gärtner

Sr. Churfürstl. Durchl. zu Sachsen,
hochverordneten Oberconsistorial-
präsidenten zu Dresden;

 

Sr. Hochwürdigen Magnificenz

dem Herrn D. Tittmann,
Sr. Churf. Durchl. zu Sachsen hoch-
verordneten Kirchen- und Oberconsisto-
rialrathe, wie auch Superintenden-
ten und Pastori Primario
zu Dresden;

 

Sr. Hochwürdigen Magnificenz,

dem Herrn D. Reinhard

Sr. Chrufürstl. Durchl. zu Sachsen
Hochverordneten Oberhofprediger,
Kirchen- und Oberconsistorial-
rathe zu Dresden

 


 

Die Gnade unsers Herrn Jesu Christi sei mit uns allen; Amen

Undankbar gegen Gott, und ungerecht gegen unsere Zeitgenossen würden wir seyn, meine Zuh, wenn wir es nicht eingestehen wollten, daß sich unser Zeitalter in so mancher Hinsicht zu seinem Vortheile vor den vorhergehenden Zeiten auszeichnet. Denn wann waren die geistigen und körperlichen Kräfte des Menschen je so ausgebildet und erhöhet, und wann hatte man es je in allen Künsten und Wissenschaften so weit gebracht, als eben zu unserer Zeit? Es ist zwar wahr, daß, wenn wir in die ältere Geschichte zurückgehen, wir auf Zeiträume stoßen, wo Künste und Wissenschaften sehr geschätzt und geliebt wurden, und wo man es auch sehr weit in denselben gebracht hatte, aber wenn wir eine unpartheiische Vergleichung mit jener und unserer Zeit anstellen, so müssen wir unstreitig bei letzterer den Vorzug einräumen. Denn wie sehr hat man jetzt alle Arten des menschlichen Wissens berichtigt und erweitert? wie viele Vorurtheile vertilgt, und wie viele Wahrheiten entdeckt, die vorher ganz ungekannt, oder doch noch mit vielem Irrthume vermischt waren? Hat nicht diese Liebe zu den Wissenschaften, diese Erweiterung derselben, und diese Berichtigung ihrer Wahrheiten selbst den entschiedensten Einfluß auf unsere Religion gehabt? Wann machte man sich richtigere Vorstellungen von den Wahrheiten derselben, und wann sonderte man das Zeitige und Oertliche von dem allgemein Gültigen mehr ab, als eben zu unserer Zeit, da die menschliche Vernunft zu einer gewissen Reife gekommen, und durch Hülfe der alten Sprachen und der alten Sitten und Gewohnheiten eine bessere Auslegungskunst unserer heiligen Bücher eingeführt worden ist? Wann hat man je richtigere Grundsätze angegeben, nach welchen die Jugend erzogen werden muß, wenn sie zu verständigen und guten Menschen, und zu eben solchen Bürgern des Staats gebildet werden soll? Und läßt es sich leugnen, daß man auch hier und da angefangen hat, und immer mehr anfängt, von diesen Grundsätzen Gebrauch zu machen, und die geistigen und körperlichen Kräfte der Jugend darnach zu bilden? Ob nun zwar gleich noch überaus viel zu thun übrig ist: so muß man doch eingestehen, wenn man nicht ungerecht gegen seine Zeitgenossen seyn will, daß das gegenwärtige Zeitalter auch in dieser Hinsicht bey weitem den Vorzug vor den vorhergehenden Zeiten hat. Wann hat man ferner richtigere Begriffe von der Würde der menschlichen Natur gehabt? wann den Menschen mehr nach dem geschätzt, was er den selbsterworbenen Vorzügen seines Verstandes und Herzens, als was er seiner Geburt und seinem Glücke verdankt? Es ist ein wahrer Vorzug unserer Zeit, daß man immer mehr anfängt, den Menschen als Menschen zu behandeln, und ihm seine Menschenrechte auch dann nicht streitig macht, wenn ihn die bürgerliche Verfassung noch so tief erniedrigt hat; daß man aber auch anfängt, ihm bloß dann einen wahren Vorzug vor den übrigen einzuräumen, wenn er sich durch bessere Kenntnisse und durch höhere Tugend vor ihnen auszeichnet; nicht aber deswegen, weil ihm das Glück wohlgewollt, ihn von vornehmen Aeltern abstammen läßt, und ihm eine große Menge Glücksgüter, Würden und Ehrenstellen, die er nicht verdient, zu geworfen hat. Und wer kann endlich den Vorzug unserer Zeit vor den vorhergehenden Zeiten leugnen, wenn er bedenkt, daß man immer mehr einsehen lernt, man dürfe den Menschen wegen seines Glaubens nicht kränken und verfolgen; sondern müsse ihm denselben ungestört bekennen lassen, sollte er auch noch so sehr von dem Glauben seiner Mitbrüder abweichen; weil derselbe eine Sache des Verstandes ist, und also nicht geboten werden kann? Mit welcher Traurigkeit und Wehmuth wird man nicht erfüllt, wenn man eine Zeitlang mit seinen Gedanken in der Geschichte der Kirche und Religion verweilt, und auf so viele Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten stößt, die bloß um gewisser religiöser Meinungen willen an so vielen öfters rechtschaffenen und um Kirche und Staat sich wohl verdient gemachten Männern begangen worden sind; mit welcher Freude und mit welchem Vergnügen wird man aber auch erfüllt, und wie sehr zum Preise der gütigen Gottheit ermuntert, wenn man in unsern Zeiten bemerkt, daß dieser Gewissenszwang und Verfolgungsgeist immer mehr aufhört! Diese und noch andere Vorzüge hat das gegenwärtige Zeitalter ohnstreitig vor den vorhergehenden Zeiten. So gewiß aber dieses auf der einen Seite ist, eben so gewiß ist es auf der andern, daß dasselbe auch noch viele und zum Theil große Mängel und Unvollkommenheiten mit den vorhergehenden Zeiten entweder gemein hat, oder sich wohl gar zu seinem Nachtheile vor denselben auszeichnet. Ich will heute nach Anleitung der Epistel einige anführen, und einige Verhaltungsregeln bey denselben für den Christen angeben. Es wird sich dieses am besten thun lassen, wenn ich folgende Frage beantworte:

Wie hat sich der Christ zur bösen Zeit zu verhalten?

Epistel Ephes. 5. v. 15-21

In dieser verlesenen Epistel, über die ich jetzt zu euch reden soll, m.Z., ermahnet der Apostel, um es kurz zu sagen, die Christen, immer weiser und besser zu werden, sich ihre Pflichten und Obliegenheiten oder den Willen Gottes immer genauer bekannt zu machen, und ihr Leben immer gewissenhafter darnach einzurichten. Er verbietet insbesondere jede ausschweifende Lebensart, und verlanget von ihnen, sie einander durch Lob- und Danklieder auf die Gottheit zum Guten zu ermuntern. Er setzt aber auch einen Grund hinzu, warum er diese Ermahnungen zu einem tugendhaften Leben für nöthig halte, weil sie nämlich in bösen, für die Tugend gefährlichen Zeiten lebten. Schicket euch in die Zeit, spricht er, das heißt, wie es mir scheint, seyd aufmerksam auf die Zeit. Denn es ist böse, für die Tugend gefährliche Zeit. Da wir nun die gegenwärtige Zeit in dieser und nach anderer Hinsicht auch bös nennen müssen, und der Christ dabey manche Pflichten zu beobachten hat: so will ich heute die Frage beantworten:

Wie hat sich der Christ zur bösen
Zeit zu verhalten?
Ich frage
I) Was ist böse Zeit? und kann man auch der jetzigen diesen Namen beylegen?
II) Wie hat sich der Christ dabey zu verhalten

Ich frage also
I) Was ist böse Zeit? und kann man auch der jetzigen in gewisser Hinsicht diesen Namen beilegen?
Bös ist die Zeit

1) wenn die Bedürfnisse des Lebensungewöhnlich im Preise gestiegen, und fast nicht einmal mehr zu bekommen sind.

Denn in je größerer Menge die Natur alles hervorbringt, was der Mensch zu seiner Erhaltung, zu seiner Bequemlichkeit und zu seinem Vergnügen nöthig hat; je wohlfeiler diese Dinge zu bekommen sind, und je weniger lästig also die Anschaffung derselben auch dem Unbemitteltsten und Ärmsten wird; desto besser ist in dieser Hinsicht die Zeit. Wenn hingegen die Natur ihre Erzeugnisse verringert, so dass sie unter den Menschen nicht mehr hinreichen wollen; wenn dieselben und besonders diejenigen, welche sie schlechterdings zu ihrem Lebensunterhalt brauchen, dergestalt im Preise steigen, dass auch der Wohlhabende eine weise Eintheilung mit seinem Vermögen machen muß, wenn er nicht in Schulden gerathen will: so ist dann in dieser Hinsicht die Zeit allerdings bös oder schlecht zu nennen. Vergleichen wir dieses mit der gegenwärtigen Zeit, so werden wir nicht umhin können, ihr diesen Namen beyzulegen. Denn ist es nicht gewiß, daß fast alle Bedürfnisse des Lebens jetzt so theuer sind, daß der Aermere nur mit der größten Anstrengung seiner Kräfte sich dieselben anschaffen kann? Üeberflüssig würde es seyn, wenn ich mich hier auf Beyspiele berufen wollte, da jede Sache, die der Mensch zu Erhaltung seines Daseyns nöthig hat, das bisher Gesagte außer allem Zweifel setzt. Aber die Zeit ist nicht bloß bös, wenn die Bedürfnisse des Lebens ungewöhnlich im Preise gestiegen, und fast nicht einmal mehr zu bekommen sind; sondern es muß ihr diese Eigenschaft auch dann beygelegt werden, wenn

2) Handel und Wandel, Fabriken, Manufacturen und andere Beschäftigungen beynahe ganz liegen, oder doch nicht glücklich vonstatten gehen wollen.

Denn was anders trägt mehr zum Flor eines Landes, zu Erhaltung und Erhöhung seines Wohlstandes bey, als wenn die genannten Dinge ununterbrochen getrieben, und die verfertigten Waren schleunigst mit Vortheil umgesetzt werden können? Wird nicht dadurch Geld in das Land, und in demselben in Umlauf gebracht? Werden nicht so viele Hände des Menschen beschäftigt, und können sie nicht dadurch ihren Unterhalt verdienen? Fangen daher diese Dinge in einem Lande zu stocken an? so müssen nothwendiger Weise dadurch die Einwohner desselben großen Schaden leiden: so muß dieses auch auf die mannigfaltigen andern Beschäftigungen den nachhaltigsten Einfluß haben: so müssen Wohlstand und Ueberfluß in demselben verschwinden, und an deren Stelle Armuth und Dürftigkeit treten. Ich werde nicht nöthig haben, dieses weitläufig auseinander zu setzen, da ich zu den Einwohnern einer Stadt rede, deren Wohlstand fast lediglich von dem glücklichen Fortgange des Handels und Wandels und der Fabriken abhängt, und die es schon ehemals und jetzt werden empfunden haben, wie nachtheilig das minder glückliche Vonstattengehen derselben auf ihre äußerliche Glückseligkeit war, und jetzt ist. Denn wollen wir das Gesagte auf die gegenwärtige Zeit anwenden: so werden wir es eingestehen müssen, daß dieselbe in dieser Hinsicht bös zu nennen ist. Denn die Erfahrung spricht nicht dafür, daß zu unserer Zeit Handel und Wandel, daß Fabriken und Manufacturen merklich gelitten haben, und daß dieses beträchtlichen Einfluß auf die Verminderung des Wohlstandes vieler Menschen gehabt, ja viele in die äußerste Noth versetzt hat. Ist aber die Zeit bös zu nennen, wenn Handel und Wandel, Fabriken und andere Gewerbe fast ganz liegen, aber doch nicht glücklich von statten gehen wollen: so muß ihr diese Eigenschaft noch weit mehr beygelegt werden, wenn

3) Unwissenheit, Aberglaube, Unglaube, Zweifelsucht und Eiferlosigkeit unter den Menschen überhand nehmen:

Denn was kennt die Vernunft ehrwürdigeres für den Menschen, als das Streben nach Wahrheit und Tugend, und was ist mehr wider seine Würde, als das sorglose Dahinleben in Unwissenheit, Aberglauben Zweifelsucht und Lasterhaftigkeit. Soll man ihm mit Recht den Namen Mensch beylegen, der nicht bloß ein sinnliches, sondern auch ein vernünftig freyes und zur Sittlichkeit bestimmtes Wesen ist: so muß er doch dieser seinen Bestimmung gemäß leben: so muß er doch die Kräfte seines Geistes ausbilden: muß Irrthum und Wahrheit von einander unterscheiden lernen; muß Sittlichkeit zu seinem letzten Ziele machen, und das Sinnliche, das er an sich hat, es koste auch, was es wolle, demselben unterwerfen. Denn die Vernunft, diese Stimme der Gottheit, die so laut in ihm spricht, verlangt dieses mit unerbittlicher Strenge, und schilt ihn heftig aus, wenn er ihr nicht Folge leisten will. Daher kommt es auch, daß selbst unsere heiligen Bücher von uns verlangen, dem nachzukommen, was wahrhaft, was gerecht, was eher ein Lob oder eine Tugend ist. Wenn nun nicht bloß einzelne Menschen, sondern ein sehr großer Theil derselben diese erhabene Bestimmung vergessen, wenn sie anstatt Wahrheit und Tugend zu lieben, Unwissenheit, Aberglauben, Unglauben und Zweifelsucht lieben, sollten wir dann eine solche Zeit nicht ganz vorzüglich bös zu nennen berechtigt seyn? Schwer fällt es mir, es auszusprechen, und ich würde es lieber gänzlich verschweigen, wenn mich mein Hauptsatz nicht darauf leitete, daß sich die gegenwärtige Zeit auch in dieser Hinsicht zu ihrem Nachtheile auszuzeichnen scheint. Denn wann waren unter manchen Ständen, die sich vor dem gemeinen Manne auszeichnen, es aber im Denken und Urtheilen nicht viel weiter gebracht haben, wann waren selbst unter dem großen Haufen Unglaube und Zweifelsucht mehr im Schwange, als eben zu unserer Zeit? Wie viele giebt es nicht, welche die wichtigsten Wahrheiten der Religion entweder ganz leugnen, oder doch in Zweifel ziehen? welche von der Unsterblichkeit der Seele, und von Gottes weiser und gütiger Regierung als von Dingen reden, welche erst noch zu beweisen sind? Wann verachtete man die äußerlichen Gebräuche der Religion, die doch offenbar so viel zu unserer Aufklärung und Besserung beytragen, und schon um des guten Beyspiels willen zu beobachten sind, mehr als eben jetzt? Sind nicht die leeren Kirchen; sind nicht die wenigen Theilnehmer an dem Abendmahle des Herrn ein sicherer Beweis hiervon? Werden nicht die Feste, die dem Andenken an die Religion und an unsere Pflichten geheiligt sind, von vielen tausenden bloß ihren Vergnügungen und sündlichen Zerstreuungen gewidmet? Wann herrschte aber auch unter allen Ständen mehr Sittenlosigkeit, als eben jetzt? Von wie vielen Lastern könnte man wohl unser Zeitalter frey sprechen? Wann war man eigennütziger und selbstsüchtiger? wann rechnete man es mehr zum feinen Tone, viel zu versprechen und wenig zu halten? wann wurden mehr feine Ungerechtigkeiten und Betrügereyen begangen? wann suchte man mehr den Gesetzen des Landes auf eine Art auszuweichen, wo man nicht gestraft werden kann? wann herrschten mehr Zwietracht und Zwist unter Familien und Untreue unter Ehegatten? wann mehr Schwelgerey? wann mehr Neigung zu gewaltsamen Auflösung der bisher bestandenen Verfassung des Vaterlandes, als eben zu unserer Zeit? Sind aber diese Dinge nicht der Tod aller wahren Sittlichkeit? Sollten wir dabey nicht berechtigt seyn, die gegenwärtige Zeit, wo Unglaube, Zweifelsucht und Sittenlosigkeit beherrschend zu seyn scheinen, bös zu nennen? Die Zeit ist aber auch endlich

4) bös, wenn ganze Nationen sich miteinander entzweyen, und die rohe Gewalt der Waffen ihre Rechte geltend zu machen suchen.

Denn welches Elend und Verderben für sie daraus entspringen, lehren die Geschichte und die Natur der Sache. Wo will unter ihnen Wohlstand blühen, da bey solchen Umständen recht ordentliche Abgaben nöthig sind, und Handel und Wandel liegen, da der Ackerbau nicht gehörig betrieben werden kann, da die Früchte auf den Feldern verwüsten, da die Gesetze des Rechts und der Tugend so wenig geachtet werden? Und kann wohl die Vernunft einen solchen Zwist unter den Nationen billigen? oder drängt sie nicht vielmehr auf einen ewigen Frieden? Giebt sie nicht die Grundsätze an, wodurch derselbe auf Erden wirklich eingeführt werden kann? Sucht nicht selbst die Sittenlehre Jesu unsers Herrn, alle Quellen des Zwistes und der Uneinigkeit zu verstopfen, indem sie Liebe gegen einander zu ihrem Haupt-gesetze macht, auch das ganze Menschengeschlecht als e i n e Familie vorstellt, wovon jedes Mitglied die Wohlfahrt der andern nach seinen Kräften befördern soll? Es versteht sich von selbst, daß diejenigen Nationen, welchen von andern unrecht geschieht, und welche sie nicht anders, als durch die Gewalt der Waffen davon abhalten können, dem Sittengesetze nicht entgegen-handeln. Aber frage ich, zeichnet sich wohl die jetzige Zeit durch allgemeines Wohlwollen der Nationen der, um bestimmter zu werden, ihrer Stellvertreter gegen einander vor den vorhergehen-den Zeiten aus? oder herrschen nicht vielmehr Mißtrauen und ein heimlicher Groll unter ihnen? Ist er nicht schon lange ausgebrochen, dieser heimliche Groll? und suchen nicht so manche Nationen durch Krieg einander aufzureiben? hat er nicht schon so vielen Tausenden das Leben gekostet, und Elend und Jammer über so manches Kind gebracht? Müssen nicht selbst diejenigen Länder, die traurigen Folgen desselben empfinden, wo er nicht gewüthet hat? Und wir? wir sollten nicht berechtigt seyn, diese gegenwärtige Zeit auch in dieser Hinsicht bös zu nennen? — Doch was würde es nützen, wenn ich mich länger bey dieser Wahrheit aufhalten wollte, da ein jeder von derselben überzeugt seyn wird. — Wichtiger ist es daher

II) zu untersuchen, wie sich der Christ zu bösen Zeit zu verhalten hat.

Wollen wir uns vernünftig und christlich zur bösen Zeit verhalten, so müssen wir

1) unsere Bedürfnisse sorgfältig einschränken.

Es giebt gar vieles, welches der Mensch entweder ganz entbehren kann, oder doch nicht in so großer Menge von solchem Werthe nöthig hat, als er es bisher gewohnt war. Welche Einschränkung kann er nicht in Ansehung seiner Nahrungsmittel machen, ohne dadurch sein Daseyn auf dieser Erde zu verkürzen? Wie mannigfaltig sind nicht die Speisen und Getränke wovon er vielen ganz entsagen, viele in geringerer Menge und viele durch weniger Kunst zubereitet, genießen kann? Tragen nicht diese Unmäßigkeit und Verzärtelung vieler Menschen außerordentlich viel zur Erhöhung des Preises so vieler Dinge bey? Und wie vieles kann der Mensch in Ansehung seiner Kleidung und seines Hausgeräthes entbehren? Ist es nicht andem, dass man in unsern Zeiten in jedem Stande die Pracht allzu sehr liebt, und daß man daher so vielen Aufwand machen muß, dessen man gar wohl überhoben seyn könnte? Hat man bey gegenwärtiger Zeit schon einen großen Aufwand für die noth-wendigsten Bedürfnisse des Lebens zu machen: so muß es doch Pflicht für jeden seyn, sich in Ansehung der minder nothwendigen einzuschränken, und sich die entbehrlichen Dinge gar nicht anzuschaffen. Könnte es vernünftig, könnte es christlich seyn, seine Prachtliebe zu befriedigen, und dadurch eine solche Schuldenlast auf sich zu laden, unter der man endlich erliegen, und zu Grunde gehen müsste? Da nun Häuslichkeit, Sparsamkeit und Eingezogenheit ungemein viel zur Abwendung dieses Unglücks beytragen: so muß es doch wohl Pflicht für jeden seyn, sich derselben in unsern Tagen ganz vorzüglich zu befleißigen. Aber nicht bloß einschränken muß der Mensch seine Bedürfnisse zur bösen Zeit, sondern er muß auch

2) die noch nicht ganz versiegten Quellen des Erwerbes mit verdoppeltem Eifer benutzen, und sich, womöglich, neue zu eröffnen suchen.

Gebieten es nicht die gesunde Vernunft und unsere Religion, m.Z., ein arbeitsames und thäthiges Leben zu führen, und den Müssiggang und jede unnütze Beschäftigung zu vermeiden? Müssen daher diese Thätigkeit und Arbeitsamkeit nicht vorzüglich bey schlechten und bösen Zeiten Pflicht seyn, wo man weniger verdienen kann, aber doch weit mehr, als sonst, zu Bestreitung der Bedürfnisse des Lebens nöthig hat? Wollen wir also bey solcher Zeit unsere Pflicht erfüllen: so müssen wir in einer gegebenen Zeit weit mehr, als sonst, zu vollenden suchen; so müssen wir weit weniger Zeit zu unserer Erholung zu unserm Vergnügen bestimmen, damit der Verlust, den wir an unserer Arbeit in Vergleichung mit der vorigen Zeit haben, so viel, als möglich, wieder ersetzt werden, und damit wir uns die Bedürfnisse des Lebens verschaffen können. Pflichtwidrig handeln also alle diejenigen, welche zu unserer Zeit ihren Fleiß nicht verdoppeln, und die Zeit, die zu ihrem Vergnügen bestimmt ist, nicht verkürzen wollen. Und damit wir unsere Arbeit desto eher absetzen können: so müssen wir ihr die möglichste Vollkommenheit zu geben suchen, und daher unsern Beruf immer gründlicher erlernen; müssen jede Sache, die in unser Fach einschlägt, so vollkommen, als möglich, verfertigen lernen, damit, wenn die eine nicht abgehen will, wir eine andere zu verfertigen im Stande sind, welche wir in größerer Menge absetzen können. Wir müssen daher die noch nicht ganz versiegten Quellen mit verdoppeltem Eifer benutzen, und uns neue zu eröffnen suchen.

Der Christ darf sich aber auch zur bösen Zeit

3) von dem herrschenden Unglauben, von der herrschenden Zweifel sucht und Sittenlosigkeit nicht hinreißen lassen; sondern muß ihnen vielmehr nach allen seinen Kräften entgegenarbeiten.

Traurig ist es, m.Z., wenn man auf allen Seiten mit Menschen umgeben ist, welche mit Geringschätzung von der Religion sprechen, ihre wichtigsten Wahrheiten in Zweifel ziehen, oder wohl gar leugnen; welche fast allen Unterschied unter Tugend und Laster aufheben, und sich leichtsinnig und geflissentlich über denselben wegsetzen. Wie viele durch ein solches Betragen verführt, und zum Unglauben und zur Sittenlosigkeit hingerissen werden, ist leider! kaum zu sagen. Der Christ ist daher gegen solche Verführungen auf seiner Hut; er lässt sich nichts für Wahrheit aufdringen, was er nicht selbst sorgfältig geprüft hat, und zu keiner Handlungsweise verleiten, welche nicht von seiner Vernunft und Religion gebilligt wird. Er ist zwar weit entfernt, mit einer gewissen Hartnäckigkeit an dem Glauben seiner Väter zu hängen, ohne zu untersuchen, ob derselbe auch auf haltbaren Gründen beruhe; vielmehr ist er sogleich bereit, ihn aufzugeben, wenn er findet, daß er sich nicht vertheidigen läßt; aber er ist doch auch weit entfernt, bloß religiöse Meinungen deswegen zu glauben, weil sie unter seinen Zeitgenossen mit einer gewissen Allgemeinheit für wahr gehalten werden. Je wichtiger nun diese Wahrheiten sind, und je mehr damit seine Ruhe und Zufriedenheit zusammenhängt; desto sorgfältiger prüft; desto fester hält er sie, wenn sie die Probe bey seiner Untersuchung aushalten. Und da in Ansehung dessen, was recht oder unrecht, gut oder bös ist, fast keine Verschiedenheit der Meinungen stattfindet; da jeder den Grundsatz anerkennen muß: handle vernünftig, oder nach solchen Grundsätzen, daß du wollen kannst, alle anderen Menschen sollen darnach handeln; da besonders die Sittenlehre Jesu das Thun und Lassen eines jeden so genau bestimmt: so fällt es dem Christen auch nicht ein, sich zu der herrschenden Sittenlosigkeit hinreißen zu lassen: sondern er richtet sich bloß nach der Stimme seines Gewissens und nach den Aussprüchen seiner Religion, welche ihm beyde so deutlich, vernehmlich und nachdrücklich sagen, was er in jedem Falle zuthun oder zu unterlassen hat. Da er es aber auch für seine Pflicht erkennet, und erkennen muß, es nach seinen Kräften zu bewirken, daß seine Mitmenschen nach eben solchen Grundsätzen handeln, und daß also Sittenlosigkeit immer mehr auf Erden vertilgt werden: so läßt er keine schickliche Gelegenheit unbenutzt vorbeystreichen, wo er dem Geiste seiner Zeit eine andere Richtung geben, und Unsittlichkeit verscheuchen kann. Er sucht dieses durch ein kluges, sanftes und menschenfreundliches Belehren, Ermahnen und Warnen, besonders aber durch ein gutes Beyspiel, das er andern giebt, zu bewirken. Vorzüglich läßt er es sich angelegen seyn, dass die Seinigen von derselben nicht ergriffen werden. Frühzeitig lehrt er sie daher die Gesetze des Rechts und der Tugend, oder entwickelt sie aus ihrem Innern, und sucht ihnen Liebe zu denselben einzuflößen; frühzeitig hält er sie von böser Gesellschaft ab, damit sie durch dieselbe nicht vom Bösen angesteckt werden. Und da sich schon aus diesen Grundsätzen so leicht und natürlich die Religion, oder der Glaube an Gott, an ein künftiges Leben und an unsere Pflichten, als den Willen Gottes ableiten läßt; da aber auch dieselbe ein so mächtiger Bewegungsgrund zur Ausübung jener Grundsätze für den sinnlichen Menschen ist: so macht er sie so bald damit bekannt, als sie ihr Verstand fassen kann, damit sie schon frühzeitig der Gedanke an ihre Pflicht, und an einen heiligen und allwissenden Gott, den Vollzieher des Sittengesetzes, das heißt, den Belohner des Guten und Bestrafer des Bösen leite, und vor Sünden und Lastern bewahre. Der Christ läßt sich also selbst durch den herrschenden Unglauben, und durch die herrschende Zweifelsucht und Sittenlosigkeit nicht hinreißen; sondern er arbeitet ihnen auch nach allen seinen Kräften entgegen. Er bestrebet sich aber auch

4) seinen Mitbürgern die böse Zeit so erträglich, als möglich, zumachen.

Er ist ihnen daher auf alle Weise dazu behülflich, daß sie dieselbe so wenig als möglich, empfinden. Befindet er sich in einem Stande, wo viele fast lediglich durch seine Arbeit ihren Unterhalt finden: so versorgt er sie, so viel es sich nur immer thun läßt, mit derselben, und ist mit einem kleinen Gewinne zufrieden, damit ihr Verdienst nicht allzu sehr verringert werde. Befindet er sich in einem Stande, wo er für die Herbeyschaffung der Bedürfnisse des Lebens anderer sorgt: so befleißigt er sich gleichfalls der äußersten Billigkeit, weil er bedenkt, dass demohngeachtet die Zeitumstände noch drückend genug für sie bleiben. Bringt es sein Beruf mit sich, durch weise Gesetze und Anordnungen für den Wohlstand seiner Mitbürger zu sorgen: so läßt er kein Mittel unversucht, wodurch er ihnen Unterhalt verschaffen, den hohen Preis der Bedürfnisse des Lebens heruntersetzen, und ihren Verdienst vermehren kann. Er widersetzt sich daher jeder Bedrückung mit Nachdruck und thut den mancherley unerlaubten Kunstgriffen und Ungerechtigkeiten so mancher pflichtver-gessenen Menschen Einhalt, wodurch sie die Zeitumstände, um sich zu bereichern, noch drückender für ihre Mitbürger machen, und es ihm nur einigermaßen seine Zeit, seine Kräfte und Umstände verstatten. Denn in seinem Innersten fordert ihn eine Stimme nachdrücklich dazu auf, und die Religion, die er bekennet, und die so sehr auf zärtliche und theilnehmende Liebe dringt, befiehlt es ihm gleichfalls. Wie könnte er daher fühllos bey ihrer Noth bleiben? wie sollte er nicht das Aeußerste versuchen, dieselbe zu vermindern? Sie haben alle eben die vernünftige Natur denket er; sie haben alle eben die Neigungen, Wünsche und Bedürfnisse, wie ich; sie sind alle meine Brüder und Schwestern. Und ich, ich sollte mich ihrer nicht annehmen? sollte ihnen die böse Zeit nicht so erträglich, als möglich, machen? Der Christ t r ä g t aber auch und das ist die 5te Verhaltensregel,

die bey entstandenem Kriege auf ihn fallenden Lasten gern und willig, entzieht sich selbst dem Kriegsdienste nicht, wenn er nach den Gesetzen des Landes dazu verbunden ist, und sucht die bisher bestandene Ordnung der Dinge in seinem Vaterlande, so lange sie rechtmäßigbesteht, auf recht zu erhalten.

Denn er sieht es ein, daß ohne Unterstützung von den Mitgliedern des Staats und ohne Mannschaft das angegriffene Vaterland nicht vertheidigt werden kann, daß es daher von den Feinden erobert und mit unzähligem Elende heimgesucht werden muß. Er ist weit davon entfernt, erst über die Recht- oder Unrechtmäßigkeit des entstandenen Krieges zu entscheiden, und bloß im erstern Falle seine Bürgerpflichten zu erfüllen. Denn er bescheidet sich gern, daß diese Entscheidung in den meisten Fällen für ihn zu schwer, und daß er daher der Gefahr ausgesetzt ist, ein schiefes, schwankendes und unrichtiges Urtheil zu fällen. Und gesetzt, daß er auch sichere Gründe für die Unrechtmäßigkeit desselben zu haben glaubt: so hält er es doch für Pflicht, dem bedrängten Vaterlande Hülfe zu leisten; weil es einmal dieselbe nöthig hat, und er im Unterlassungsfall eben so pflichtwidrig handeln würde, als diejenigen gehandelt, welche auf eine ungerechte Weise den Bruch mit auswärtigen Nationen verursacht haben. Und da er so ganz von Vaterlandsliebe beseelt ist: so ist ihm auch die bisher bestandene Verfassung heilig; so sucht er mit redlichem Eifer das Seinige zur Aufrechthaltung derselben beyzutragen, gesetzt, daß er auch noch so manche Mängel und Unvollkommenheiten an ihr bemerkt. Denn er ist es überzeugt, daß sich dieselben von keiner Staatsverfassung gänzlich entfernen lassen, daß auch eine unvollkommene Verfassung besser ist, als gar keine, und daß dieselben, wenn das Wohl des Vaterlandes nicht auf das Spiel gesetzt werden soll, nicht gewaltsam und durch Auflösung der ganzen Verfassung, sondern nur allmählich entfernt werden müssen Er traut es den Stellvertretern des Volks zu, daß sie nach und nach diesen Mängeln, so viel es sich thun läßt, abhelfen, und der bestehenden Verfassung immer mehr Vollkommenheit zu geben suchen werden. Tritt dieser Zeitpunkt wirklich ein: so freuet er sich darüber, und ist daher weit entfernt, ihnen Hindernisse in den Weg zu legen; sondern er unterwirft sich diesen neuen Gesetzen gern und willig, und sucht ihre verbindende Kraft aufrecht zu erhalten, so bald sie nur nicht offenbar ungerecht und wider seine Pflicht, und sobald sie nur von solchen gegeben worden sind, welchen das Recht zukommt, Änderungen zu treffen, und eine neue Ordnung der Dinge fest-zusetzen. Denn verbindet ihn nicht zu diesen bisher Gesagten seine Vaterlandsliebe, die ihm die Grundsätze seiner Vernunft und seiner Religion zur Pflicht machen, nach welcher letztern man der Obrigkeit unterthan und gehorsam seyn, und dem Kaiser geben soll, was des Kaisers ist? Verbindet ihn nicht dazu das Beyspiel des Stifters seiner Religion, der in allen rechtmäßigen Forderungen der Obrigkeit und den Gesetzen des Vaterlandes unterthan war? Verbindet ihn nicht dazu das Beyspiel des Apostel Jesu, welche eben das thaten, und allen denen, welche sie zur christlichen Religion brachten, einen Geist der Sanftmuth und des Gehorsams gegen die damahlige äußerst fehlerhafte Einrichtung einflößten? Zeichnet sich daher der Geist des Zeitalters durch Widerspenstigkeit gegen die Gesetze des Vaterlandes, und durch ein unvernünftiges Streben, seine Verfassung aufzulösen, oder durch Entzweyung der Nationen unter einander aus: so trägt der Christ die bey entstandenem Kriege auf ihn fallenden Lasten gern und willig, und sucht die bisher bestandene Ordnung in seinem Vaterlande, so lange sie nämlich rechtmäßig besteht, aufrecht zu erhalten. Der Christ läßt sich aber auch, und das ist endlich die 6te Verhaltungsregel, durch die böse Zeit

nicht zu Zweifeln gegen Gottes weise Regierung und zur Unzufriedenheit mit der selben verleiten.


Nicht zu Zweifeln. Denn sein Glaube an dieselbe steht auf einem festen Grunde, der durch nichts erschüttert und wankend gemacht werden kann. Denn aus seinem Innern spricht eine Stimme so laut, so vernehmlich und nachdrücklich, daß er ihr nicht das Geringste entgegensetzen kann: du bist zur Sittlichkeit und Tugend bestimmt, und machst dich dadurch des Genusses der wahren Glückseligkeit würdig. Da er sich nun diese selbst zu geben nicht im Stande ist, weil es nicht in seiner Gewalt steht, den Lauf der Dinge nach seinem Gefallen zu lenken: so sieht er sich genöthigt, eine weise und gütige Weltregierung anzunehmen, die Tugend und Glückseligkeit zu seiner Zeit in die genaueste Übereinstimmung bringt. Ihn bestärken in diesem Glauben die Geschichte aller Zeiten und Völker, und seine eigenen Schicksale. Denn wenn er hierüber Betrachtungen anstellt: so findet er, dass sich öfters bey der größten Unwahrscheinlichkeit alles so schön entwickelte, daß er vernünftiger Weise nicht anders urtheilen kann, als es sey eine höhere Leitung dabey thätig gewesen. Ihn bestärken in diesem Glauben ganz vorzüglich seine heiligen Bücher, die es ausdrücklich lehren, daß alle Veränderungen in der Welt unter einer weisen und gütigen Regierung Gottes stehen, daß nicht einmal ein Sperling ohne dieselbe umkomme, und dem Menschen nicht einmal ein Haar von seinem Haupte falle. Wie konnte er daher in diesem Glauben bey der bösesten Zeit wankend gemacht werden, die auf so vernünftigen Gründen beruht! Darum lasset uns, m.Z., auch bey gegenwärtiger Zeit diesem Glauben, der so viel Beruhigendes und Herzerhebendes enthält, fest halten, und uns denselben durch keine Zweifel rauben. Aber lasset uns auch nicht unzufrieden mit dieser göttlichen Weltregierung werden. Denn so gewiß es ist, daß jede Zeit, und also auch die gegenwärtige, nicht vom Ohngefähr, nicht von einem regellosen Zufalle und von einer harten Nothwendigkeit, sondern von einem weisen und gütigen Gott ihren Ursprung hat: so ist es auch eben so gewiß, daß sie ganz gewiß für das Ganze nützlich ist, und die heilsamsten Folgen nach sich ziehen wird. Denn wie ließe sich dieses anders denken, da doch vernünftiger Weise die Absicht der göttlichen Weltregierung keine andere seyn kann, als die möglichste Summe von Glückseligkeit unter allen empfindenden Wesen hervorzubringen. Mögen daher die Naturgesetzte manches Unangenehme bewirken; mögen die Menschen ihre Freyheit noch so sehr mißbrauchen, und durch Übertretung der ewigen Gesetze des Rechts und der Tugend sich und ihren Mitbrüdern manches Elend zubereiten: so müssen doch alle diese Dinge in der Hand der Vorsehung ein Mittel werden, Aufklärung, Sittlichkeit und Glückseligkeit zu bewirken. Darum lasset uns die gegenwärtige Zeit mit Geduld und Standhaftigkeit ertragen, und nicht unzufrieden mit Gottes weiser und gütiger Regierung werden! Lasset uns daher nur unsere Pflicht stets vor Augen haben und befolgen, übrigens aber ganz ungekümmert seyn; weil sich auch die gegenwärtige Zeit endlich so entwickeln wird, daß jeder Vernünftige wird sagen müssen:

Gott hat alles wohl-gemacht;

Amen.


Anmerkungen:

1. Hier die Epistel S. Pauli an die Epheser, 5. Capitel, die Epistel am 20 Sonntage nach Trinitatis, Vers 15-21, um ein langes Suchen zu ersparen:

15. So sehet nun zu, wie ihr *vorsichtiglich wandelt, nicht als die Unweisen, sondern als die Weisen
*Matth. 10,16. Jac. 3,13

16. Und *schicket euch in die Zeit, denn es ist die böse Zeit.
* Röm. 12,11.

17. Darum werdet nicht unverständig, sondern ver-ständig, *was da sey des Herrn Wille.
*Röm. 12,2. IThess. 4,3.

18. Und saufet euch nicht voll Weins, daraus ein unordentliches Wesen folgt; sondern werdet voll Geistes,

19. Und *redet unter einander von Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, **singet und spielet dem Herrn in Eurem Herzen
*Col. 3,16, **Ps. 33,2.3.

20. Und *saget Dank allezeit für alles, Gott und dem Vater, in dem Namen unseres Herrn Jesu Christi;
*Es. 63,7. Col. 3,17.

21. Und seyd unter einander unterthan in der Furcht Gottes.
Anmerkungen zur Übertragung:

Die Abschrift des Originaldrucks enthält alle zeiteigenen For­mulierungen und Schreibweisen, ausgenommen wenige Änderun­gen des Wörtchens 'wenn' in 'wann' auf den ersten Seiten, um das Verstehen durch den heutigen Leser nicht zu erschweren. Das etwa fünfmal erscheinende 'm.Z.' heißt 'meine Zuhörer'.


Anmerkungen zur Geschichte:

Ein paar Anmerkungen zur Geschichte, den Umständen und Le­bensgewohnheiten der damaligen Zeit, die ja nun bereits über 200 Jahre zurückliegt:

Was war das für ein Leben in Deutschlands Kleinstaaterei im Ausgang des 18. Jahrhunderts.

Nach dem 30jährigen Krieg (1618-48) schaffen der Großen Kurfürst, dann sein Sohn der Soldatenkönig und schließlich der Enkel Friedrich der Große in nur 150 Jahren die Beseitigung der Ständerechte (der Adel wird durch den zugesagten Offiziersdienst entschädigt), die Einrichtung eines stehenden Heeres und einer straffen Verwaltung. Aus dem klein- und mittelstaatlichen Besitz der Hohenzollern wird Preußen eine europäische Großmacht. Der König als erster Diener seines Staates steht für das materielle und sittliche Wohl seiner Untertanen, für die Förderung der Kultur, für religiöse Toleranz und Unabhängigkeit der Richter. Es ist die Zeit der Aufklärung. Das System entspricht einem aufgeklärten Abso-lutismus, in dessen Verwaltung der ludovizische Absolutismus (der der französischen Könige Ludwig XIV bis Ludwig XVI) fort­lebt, bewahrt in der hierarchischen Ordnung Züge des Ordensstaa­tes und im Fürsorgeethos eine säkularisierte Form der 'christlichen Obrigkeit' Luthers.
Das Königreich Sachsen, in dem Johann Christoph Salomo Kär­ner 1769 geboren wurde, hatte im Siebenjährigen Krieg vor den Preußen bereits 6 Wochen nach Kriegsbeginn am 1.10.1756 kapi­tulieren müssen, wurde mit einer ungeheuren Schuldenlast von 40 Millionen Talern belegt und musste bis zum Kriegsende 1763 die preußischen Truppen auffüllen. In der Zeit von 1772 bis 1785 erlebte Sachsen unter Kurfürst Friedrich August III. einen enormen Aufschwung. Gewerbefleiß und Handel wurden unterstützt, Industriezweige, wie die Baumwollmanufaktur, die Kattun-druckerei und die Strumpfwirkerei wurden eingeführt. Auch wurde die Schafzucht durch Einführung des spanischen Merinoschafs gefördert. Der Wohlstand stieg. 1778-1779 beteiligte sich Sachsen im Bayerischen Erbfolgekrieg, nun an der Seite Preußens. 1785 trat Sachsen dem Deutschen Fürstenbund bei und musste damit auch für den Deutschen Fürstenbund Kontingente bereitstellen. Von 1793 beteiligte sich das sächsische Kontingent am Reichskrieg gegen Frankreich bis zum Waffenstillstand 1796. Daraufhin zog der Kurfürst seine Truppen zurück. Die zahlreichen Kriegsbeteiligungen aber ließen in Sachsen die Abgaben der Bevölkerung und die Lebenshaltung­skosten ständig steigen. Ein dauerhafter Friede war nicht in Sicht.
Hinzu kam die wirtschaftliche Rezession in Frankreich, die nach einem steilen Aufschwung ab 1730 in den Jahren um 1780 zu einem erheblichen Einbruch, zu einer Agrar-, Industrie- und Sozialkrise von vorher nicht gekanntem Ausmaß führte. Da gleichzeitig der Kontinent mit englischen Industriewaren über­schwemmt wurde, neuartigen Maschinen, Dampfmaschinen, Webmaschinen etc., was die Krise noch verschärfte, zumal die ei­genen Produkte keinen Absatz mehr fanden. Das immer teurer werdende Leben in England, z.B. war der Weizenpreis bereits auf ein Mehrfaches angestiegen, ließen auch auf dem Kontinent die englischen Produkte immer teurer werden. Es entwickelte sich die Wirtschaftskrise zu einer Sozialkrise aus. Die Arbeitslosigkeit nahm zu, die Preise stiegen, die industrielle Produktion ging zu­rück. Schließlich verhängte Napoleon, das aber erst 1810, die Kontinentalsperre gegen England.
Aber bereits um 1800 schien die Situation für die Bevölkerung aussichtslos, ganz besonders traf es die eigentlich schon ärmsten Gegenden, zu denen in Sachsen, das Vogtland und das Erzgebirge zählten. Der Kollaps hing wie ein Damoklesschwert über dem Kontinent. Aus dieser Situation herauszukommen, die aufgezwun­genen Benachteiligungen wieder wett zu machen, die Suche nach einem gangbaren Weg aus der Krise, war das Bestreben verant­wortungsvoller Menschen.
Und genau dies war auch der Kerngedanke, das aufrüttelnde Moment der ganzen Predigt von Johann Christoph Salomo Kär­ner, der 30-jährig 1800 seine Predigt vor städtischem Publikum, vermutlich in Münchenbernsdorf hielt. Er hat die Predigt, wie er in seiner Lebensbeschreibung erwähnt: „...eine von mir in Druck gegebene Predigt..." selbst drucken lassen und 1802 den dedizier­ten Herren mit der Bitte eingereicht, ihm ein anberaumtes Examen in Anbetracht seines etwas labilen Gesundheitszustandes zu erlas­sen, der nachgekommen wurde. Wie aus dem geschichtlichen Ab­riss ersichtlich, hatte sich die Notlage der Bevölkerung um 1800 noch nicht geändert, im Gegenteil, eher verschlimmert. Also war die Aussage der Predigt auch 1802 immer noch aktuell.
Mit 24 Jahren hatte er seine Bestallung als Diakon, öffentlich in der christlichen Gemeinde predigen zu dürfen, erhalten und be­kam seine Anstellung als Lehrer und Prediger in Rautenkranz im Erzgebirge (1793-1803), heute Morgenröthe-Rautenkranz, un­ter-richtete die Kinder des Dorfes und hielt am Sonntag die Predigt in der Dorfkirche.
Eine eigene Gemeinde als Pfarrer strebte er an, war ihm aber noch nicht zugeteilt worden. Es gab zu viele Anwärter auf der Warteliste, so dass er ewig leer ausging. Er musste sich aktiv selbst um eine Pfarrstelle bemühen, musste Fürsprecher finden und Kirchenobere für sich gewinnen. Ohne eine entsprechende Reputation, Empfehlung und ‚gute' Beziehung war eine Pfarrstel­le nicht zu bekommen. Er nahm jede Strapaze auf sich, bei ein­flussreichen Kirchenmännern, Freunden und Lehrern aus Witten­berg vorzusprechen, die mittlerweile in Amt und Würden waren. Schließlich absolvierte er, auch ohne eingeladen zu sein, 1797, ein Examen mit Bravour. Spontan wurde ihm eine Stelle versprochen, aber erst viele Jahre später sollte sein Bemühen, aber auch gedul­diges Warten von Erfolg gekrönt sein. Zunächst ging er als Dia­kon nach Münchenbernsdorf mit den Nachbarorten Großbocka und Kleinbernsdorf, und nach endlosen Eingaben und langwieri­gen Reisen (zu Fuß) erhielt er endlich im Dezember 1808 einen Ruf nach Pillingsdorf. Als designierter Pfarrer von Pillingsdorf musste er noch einmal auf eine Fußreise nach Leipzig zu einem weiteren Examen, was er ebenfalls mit guten Zensuren bestand.
Nun hatte er sein Ziel erreicht, aber die Schwierigkeiten hörten nicht auf. Die Gemeinde Pillingsdorf hatte unter dem Vorgänger die Pflichten gegenüber der Pfarrstelle gröblichst vernachlässigt und sich in der Folge gegenüber Salomo Kärner strikt geweigert, einen Fuß breit wieder abzugeben, was sich mit der allgemeinen Not, in der sich die dörfliche Bevölkerung befand, erklären lässt. Zu den in der Pfarrmatrikel verbrieften Pflichten gegenüber dem Kichenbesitz und den daraus abgeleiteten Einkünften gehörten das Schlagen und Bereitstellen des Holzes aus dem Pfarrwald, was sich unberechtigter- und heimlicherweise die Gemeindemitglieder und die Gemeindeverwaltung selbst abzweigte, sowie verschiede-ne Dienstleistungen wie Reparaturen am Haus oder am Garten­zaun u.ä. Selbst der Pächter des Nachbarhauses tat seinen Dienst nur widerwillig und das auch nur sechs Jahre lang. Ein neuer Pächter wollte sich nicht finden.
Es gebührt Salomo Kärner, die Pfarrmatrikel unter Zuhilfe-nah­me und Anrufung der kirchlichen Obrigkeit, der Kirchen-inspekti­on, des Oberkonsistoriums und des Landrats gemäß der vorrefor­matorischen Regularien wieder eingesetzt zu haben.

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